· 

Hybride Plattformen – Eine Technologie für den Mittelstand?

Lassen sich damit in unsicheren Zeiten zusätzliche Erträge erwirtschaften?

Digitale Technologien sind nicht automatisch die Retter in der Not

Viele mittelständische Unternehmen treiben mit großer Energie die Digitalisierung ihrer Produkte voran. Einige darunter gelten in ihrer Branche als Hidden Champions. Werden aber ihre Kunden diese Leistungen auch in unsicheren Zeiten honorieren? Oder besser gefragt: Wie lassen sich damit unter schwierigen Bedingungen ausreichende Erträge erwirtschaften?

 

Die besonderen Stärken der meisten Mittelständler liegen in erster Linie eher in der analogen Welt. Durch unvergleichlich intensiven Kontakt mit ihren Kunden schaffen sie in ihrer Nische einen Mehrwert, der besonders durch Branchenfremde kaum zu toppen ist. Aber auch Hidden Champions haben Wettbewerber. Trotzdem folgen bisher selbst die Champions bei der Vermarktung ihrer Produkte und Dienstleistungen lieber gewohnten Pfaden. 

 

Für viele ist Amazon & Co mit seiner digitalen Plattform-Ökonomie  bestenfalls ein unerreichbares Vorbild. Daher gab es auch bisher wenig Ansätze im Geschäft mit industriellen Kunden daran anzuknüpfen. Dabei ist dieses Erfolgsrezept erstaunlich schlicht:  Mach es deinen Kunden so leicht und bequem wie möglich, ihre Wünsche zu erfüllen. Industrielle Kunden haben jedoch keine Wünsche, sondern Anforderungen. Die wichtigste darunter ist das Erzielen eines Gewinns. Erfolgsbeispiele einfach zu kopieren, wird daher kaum den gewünschten Erfolg bringen. Könnte man stattdessen nicht das beste aus beiden Welten verbinden - analoge Stärken der Mittelständler mit dem enormen Potenzial digitaler Technologien? 

Abbildung 1: Erfolgsfaktoren für eine digitale Plattform

 Wie könnte eine solche „Hybride Plattform-Technologie“ aussehen und wie könnte man sie realisieren? Statt einzig und allein das eigene Produkt mit digitalen Mitteln zu perfektionieren, werden wir den Blick auf die Wertschöpfungskette unserer Kunden richten: Welche Bedeutung könnten wir und mögliche neue Produkte oder Dienstleistungen darin einnehmen?  Wie müssten diese aussehen, um eine herausragende Bedeutung zu erreichen? 

 

Gerade mittelständische Firmen haben beste Voraussetzungen für neue überzeugende Antworten, wenn sie ihre intimen Kenntnisse der Wertschöpfungskette ihrer Kunden nutzen, um deren Prozesse zu beschleunigen, die Qualität zu verbessern oder Kosten zu sparen. Gelingt das, werden sie nicht unbedingt unersetzlich, auf jeden Fall unvergleichlich wertvoll. 

Bestandteile eines erfolgreichen digitalen Geschäftsmodells

Eine digitale Plattform ist zunächst nichts anderes als eine Technologie, mit deren Hilfe Anwendungsprogramme eine einheitliche Grundlage erhalten. Sie hat insofern für den Anwender keinen besonderen Nutzen. Diesen gewinnt sie erst, wenn wir sie mit einem passenden und funktionierenden Geschäftsmodell verbinden. Das Geschäftsmodell muss dafür den besonderen Bedingungen der Plattform-Technologie Rechnung tragen und daraus Eigenschaften entwickeln, die mit klassischen Modellen nicht zu erreichen sind. Ferner muss es spezifisch das Geschäft mit industriellen Kunden im Fokus haben. Schließlich muss es noch individuell an die jeweilige Kundengruppe und Zielrichtung angepasst werden können.

 

Abbildung 2: Koordinatensystem für erfolgreiche digitale Geschäftsmodelle im B2B Bereich

Abb. 2 zeigt das Koordinatensystem, in dem wir uns auf der Suche nach einem erfolgsversprechenden Geschäftsmodell bewegen werden. Ein zentrales Element dabei sind unsere Kenntnisse zu den besonderen Chancen oder risikoreichen Herausforderungen unserer Kunden-Zielgruppe. Können wir dazu Lösungen bieten, werden wir auf eine stark positive Resonanz stoßen. 

 

Digitale Technologien werden gerne als „neue Technologien“ bezeichnet, obwohl es die meisten schon eine ganze Weile gibt. Damit hat jeder Anbieter auch jede Menge Wettbewerber, die sich mit den gleichen oder ähnlichen Technologien beschäftigen. Es bedarf schon neuer, überraschender Lösungsansätze um echte Alleinstellung zu erzielen. Gelingt es uns, damit überzeugende Ansätze für die Chancen und Herausforderungen der Zielgruppe zu entwickeln, sind wir bereits auf  einem guten Weg zum angestrebten  Lösungsfeld.

 

Jetzt fehlt noch ein geeignetes Ertragsmodell, also die Art und die Gestaltung unserer Ertragsquellen. Dieses kann selbst zu einem überraschenden Lösungsansatz werden. Beispielsweise könnten wir als Sensorhersteller unsere Hardware kostenfrei zur Verfügung stellen, aber uns die Daten und die daraus gewonnenen Informationen entsprechend ihrem Wert vergüten lassen.

 

 

 

Überraschende Ideen finden, die Kunden begeistern

Um neue, überraschende Ansätze für digitale Geschäftsmodelle zu finden, brauchen Sie keine Digitalisierungs-Experten. Das Wissen in ihrer Organisation reicht vollkommen aus. Wer kennt Ihre Prozesse, die Ihrer Kunden und Ihr geschäftliches Umfeld besser als Sie und Ihr Team? 

 

Investieren Sie für Ihr Vorhaben einen Tag zusammen mit Ihrem Team. Einen Überblick zur Vorgehensweise gibt Abb. 3. Zum Einstieg charakterisieren Sie auf Post-its Ihren eigenen Geschäftsprozess in Hinblick auf seinen Nutzen für Ihre Kunden-Zielgruppe, die eingesetzten Technologien und die erzielten Erträge. Skizzieren Sie die wichtigsten Chancen und Herausforderungen für diese Kundengruppe und die Auswirkungen auf ihre Wertschöpfungskette.

Abbildung 3: Prinzipielle Vorgehensweise im Ideation Workshop

Ein Beispiel für eine solche erste Analyse zeigt Abb. 4. Im Zentrum stehen die Chancen und Herausforderungen unserer Kunden-Zielgruppe und wie sich diese auf die einzelnen Bereiche ihrer Wertschöpfungskette (Produkt-Design, Marketing & Vertrieb, Materialwirtschaft usw.) auswirken.

 

In unserem Beispiel besteht die Herausforderung für unsere Kunden-Zielgruppe in einem harten Konkurrenzkampf der verschiedenen Anbieter. Nach unserer Beobachtung sehen viele unserer Kunden  eine realistische Chance, mit der Entwicklung zahlreicher neuer innovativer Produkte einen Wettbewerbsvorsprung zu erzielen. Kritisch ist dabei die Durchlaufzeit von der Produktentwicklung bis zur Markteinführung (Time-to-Market). In dieser Zeit entstehen für das Produkt Kosten, es erwirtschaftet jedoch keine Erträge. Bei der neuen Strategie gilt es also die Time-to-Market deutlich zu verkürzen. 

 

Für uns als Werkzeuglieferant würde das auf den ersten Blick eine starke Verkürzung der Lieferzeit bedeuten. Mit den aktuell zur Verfügung stehenden Technologien und Prozessen ist das nicht zu schaffen. Zusätzlich erschwert unsere sinkende Ertragssituation notwendige Investitionen. Positiv sehen wir unseren Wert für die Kundengruppe als verlässlicher Lieferant mit hoher Produktqualität.

 

Vermutlich wird sich schon bei dieser ersten Diskussion auch bei Ihnen ein dominantes Thema herauskristallisieren. Prüfen Sie, ob dieses Thema wirklich eine echte Chance bzw. Herausforderung für Ihre Kunden-Zielgruppe repräsentiert. In unserem Beispiel ist das dominante Thema eine deutliche Reduzierung der Time-to-Market unserer Kunden-Zielgruppe und der Beitrag, den wir dazu leisten können.

 

Abbildung 4: Unser heutiges Geschäftsmodel mit den Chancen und Risiken der Kunden-Zielgruppe (Beispiel)

Als nächstes geht es darum, überraschende Lösungen zu suchen. Üblicherweise würde man dafür als erstes die eigene Wertschöpfungskette überprüfen. In unserem Beispiel wählen wir einen anderen Weg. Wir nehmen den Gesamtprozess einschließlich der Wertschöpfungskette der Kundengruppe in den Blick. Dabei ist unserem Team aufgefallen, dass die Bereiche Produktion und Versand ständig optimiert werden, der Auftragsstart bei neuen Produkten jedoch immer noch unverändert schwerfällig verläuft.  

 

Wir schauen uns dazu die Abläufe beim Auftragsstart für neue Produkte näher an. Dazu verwenden wir ein sogenanntes Use Case Diagramm. Die deutsche Übersetzung „Anwendungsfalldiagramm“ ist recht sperrig, wir bleiben daher bei der englischen Bezeichnung. Bei dem Diagramm handelt es sich um eines der Diagrammarten der Unified Modelling Language (UML), mit dem sich die Anforderungen an Software und andere Systeme in frühen Projektphasen strukturieren lassen. 

 

Man visualisiert damit Anwendungsfälle und Akteure mit ihren jeweiligen Abhängigkeiten und Beziehungen. Die zeitlichen Abläufe dagegen werden hier noch nicht berücksichtigt. Die verwendeten Notationselemente sind nach ISO/IEC 19501 standardisiert. Dies sichert ein allgemeines und eindeutiges Verständnis der Inhalte. Der Übersichtscharakter des Diagramms hilft in einer Gruppe ein gemeinschaftliches Verständnis über ein Geschäftsmodell zu erzielen. 

 

In Abb. 5 sind die Use Cases (Anwendungsfälle) und ihre Akteure an unserem Beispiel eines Auftragsstarts für neue Produkte dargestellt. Die Use Cases werden durch Ellipsen und einen charakterisierenden Text dargestellt, die Akteure durch Strichmännchen. Diese befinden sich außerhalb der Systemgrenze (schwarzes Rechteck) und können mit Use Cases innerhalb der Systemgrenze kommunizieren oder sie auslösen. 

Abbildung 5: UML Use Case Diagramm am Beispiel "Auftragsstart Neue Produkte"

Ein gestrichelter Pfeil mit dem Hinweis <<include>> von einem Use Case zu einem anderen symbolisiert eine <<include>> Beziehung. Dies bedeutet, dass der erste Use Case erst dann als ausgeführt gilt, wenn der zweite Use Case (und eventuell vorhandene weitere <<include>> Beziehungen) abgeschlossen sind. Dagegen charakterisiert ein gestrichelter Pfeil mit dem Hinweis <<extent>>, dass der erste Use Case (markiert mit einem Extension Point) unter der angegebenen Bedingung um den zweiten Use Case erweitert wird. Die Pfeilrichtung ist umgekehrt wie bei einer <<include>> Beziehung. Eine gute Darstellung der einzelnen Use Case Diagramm-Elemente findet man in Wikipedia unter „UML Anwendungsfalldiagramm“, eine detaillierte Einführung gibt es als YouTube Video unter [URL: BS 7]

 

Wir markieren in unserem Diagramm Engpässe, langwierige und arbeitsintensive Teilprozesse oder Qualitätsprobleme auf Post-its. Diese Analyse wird uns bereits auf einige Ideen zu möglichen Verbesserungen bringen. In unserem Beispiel nach Abb. 5 haben wir unsere Beobachtungen auf blauen Post-its dokumentiert. Wir erkennen unnötig komplizierte Abhängigkeiten, redundante Tätigkeiten und Personalengpässe, die wir mit unseren Vorschlägen eliminieren wollen. 

 

Für manche Verbesserungspunkte bedarf es kaum besonderer Technologien. Für andere werden Sie gewisse allgemeine Kenntnisse über heute zur Verfügung stehende digitale Technologien benötigen. Es geht darum bisher übersehene Lösungsansätze auf Basis digitaler Technologien aufzuspüren. Auch solche Kenntnisse sind heute in jedem Team weitverbreitet. Nützlich dabei ist eine einfache und kurze Darstellung der wichtigsten digitalen Basistechnologien für alle Teilnehmer, um keine der möglichen Alternativen zu übersehen. Falls nötig ziehen Sie für diese Aufgabe zusätzliche Expertise von außen zu Hilfe. Ganz sicher brauchen Sie im Moment noch keinen Digitalisierungsspezialisten. Es gibt noch einiges zu tun bevor wir an eine Realisierung denken können und die Zeit für die Spezialisten gekommen ist, die wir dann ganz sicher brauchen.

 

Die Ergebnisse unserer Überlegungen sieht man in Abb. 6. Zunächst möchten wir die zeitaufwändige Abstimmung zwischen unserem Vertrieb und dem Einkauf des Kunden vereinfachen. Dazu schlagen wir eine geeignete Rahmenvereinbarung zwischen unseren Firmen vor, die die jeweilige Preisgestaltung und die Vertragsbedingungen regelt. Damit entkoppeln wir die Interaktion zwischen unserem Vertrieb und dem Einkauf des Kunden vom Auftragsstart.

Abbildung 6: Unser Vorschlag für einen digitalisierten Auftragsstart

Wir wollen aber noch mehr Tätigkeiten vereinfachen oder automatisieren. Die Projektierung eines Werkzeugs und die Überprüfung der vorgesehenen Maschine hinsichtlich ihrer Eignung für das neue Produkt ist bislang die Arbeit von spezialisierten Fachleuten. Wir stellen uns vor, mit einem geeigneten Assistenzsystem diese Tätigkeiten auch weniger gut ausgebildeten Technikern zugänglich zu machen. Eine volle Automatisierung wird an dieser Stelle bis auf weiteres kaum möglich sein. Die Generierung der Stücklisten und die Preisberechnung könnten dagegen sehr wohl automatisiert werden. Über Einzelheiten dazu machen wir uns im Moment keine Gedanken. 

 

Eine wichtige Änderung betrifft die Maschinen-Eignungsprüfung. Sie wird heute erst durchgeführt, sobald das Produkt-Design abgeschlossen ist. Damit verbaut man sich aber die Chance durch einfache Änderungen des Designs ein Problem mit der Maschinen-Eignung zu lösen. Wir verknüpfen daher sowohl die Maschinen-Eignungsprüfung als auch die dafür erforderliche Werkzeug-Projektierung mit einer <<include>> Beziehung zum Produkt-Design. Diese beiden Tätigkeiten werden jedoch unter der Verantwortung unserer Technik ausgeführt. Dank der geplanten Assistenztechnik wird dies mit wenig Aufwand zu bewerkstelligen sein. Über die Vergütung dieses Service werden wir uns noch Gedanken machen. Eine pauschale, eine aufwandbezogene oder eine kombinierte Vergütung kommen dafür in Frage. 

 

Am Ende sorgen wir mit einem geeigneten Freigabeprozess für eine hohe Datenqualität bevor wir mit der Werkzeugfertigung starten. Die Freigaben werden über Workflows organisiert. Unser gesamter Prozess zum Auftragsstart läuft auf einer eigenen Kundenplattform. So können unsere Kunden zu beliebigen Zeiten mit uns interagieren. Wir selbst wiederum können zeitnah, jedoch ablaufoptimiert die angeforderten Tätigkeiten abarbeiten.

 

Während unsere Kunden heute für den Auftragsstart meist mehr als drei  Wochen benötigen, werden wir diese Zeit auf einen Arbeitstag reduzieren. Zusätzlich vermeiden wir die heute häufig vorkommenden Korrekturschleifen bei Fertigungsproblemen. Wir haben mit unserem Vorschlag zwar nicht unsere Lieferzeit verkürzt, sehr wohl jedoch die Gesamtdurchlaufzeit. Als Ergebnis werden unsere Kunden neue Produkte deutlich schneller auf den Markt bringen können. 

 

Was hat sich für unsere eigene Firma verändert? Wir verkaufen immer noch dasselbe Produkt. Mit unserem neuen Geschäftsmodell erreichen wir jedoch eine starke Verzahnung unserer Wertschöpfungskette mit der des Kunden. Als Ergebnis erwarten wir neben einer Produktivitätssteigerung eine sehr viel größere Kundenbindung und damit eine beträchtliche Umsatzsteigerung. Bei unseren Diskussionen sind eine Vielzahl weiterer Ideen entstanden, die wir erst in einer späteren Phase weiter verfolgen werden. Im Moment lagern sie sicher in unserem Ideenspeicher.

 

Wenn aus unseren Vorschlägen Realität werden soll, wäre einige Entwicklungsarbeit nötig:

  • Internet-basierte Kundenplattform, die die einzelnen Use Cases steuert und unsere neue Schnittstelle zum Kunden darstellt
  • Assistenzsysteme für die Maschinen-Eignungsprüfung und die Werkzeug-Projektierung voraussichtlich auf Basis von KI- und Simulations-Technologien
  • Automatische Systeme für die Stücklistengenerierung und die Preisberechnung
  • Hard- und Software für das Datenmanagement und die Datensicherheit

 

Zum jetzigen Zeitpunkt können wir noch recht wenig konkrete Aussagen zu Machbarkeit und Kosten unserer Vorschläge machen. Vor allem aber sind wir uns im Moment keinesfalls sicher, dass unser Vorschlag auf die erhoffte Marktresonanz stößt.

Gibt es einen verlässlichen Marktresonanztest?

Manche Firmen werden an dieser Stelle mit der Entwicklung der erforderlichen Technologien starten. Sie verlassen sich darauf, dass sie die ersten drei der folgenden Fragen korrekt beantworten können:

  1. Zielen wir mit unserem Vorschlag auf ein Thema, das bei vielen unserer Kunden ein starkes Interesse auslöst? Was ist der Grund dafür?
  2. Ist die Anzahl an interessierten Kunden groß genug, damit wir (nach Abzug der Kosten) ausreichende Erträge erwirtschaften können?
  3. Gibt es eine bessere Alternative, die mehr Marktresonanz generieren würde?
  4. Auf welchen Informationen basieren unsere Antworten und wie repräsentativ sind diese für die gesamte Kunden-Zielgruppe?

Andere Firmen verzichten auf die Entwicklung großartiger Ideen, weil ihre Geschäftsleitungen keine ausreichend sicheren Antworten auf diese Fragen bekommen. Wenn Sie weder zu der einen noch zu der andern Gruppe gehören wollen, sollten Sie  sich einmal mit Ihren Verkäufern unterhalten. 

 

Auch die besten unter ihnen verwandeln nur einen relativ bescheidenen Anteil ihrer Erstkontakte in einen Verkaufsabschluss. Ihr Erfolgsgeheimnis besteht jedoch darin, dass sie anscheinend intuitiv erkennen , welche Erstkontakte sie in Treffer verwandeln können. In diese Kunden investieren sie ihr „Kapital“, die verfügbare aktive Verkaufszeit. 

Der erfolgreiche Verkäufer achtet aufmerksam auf bestimmte Signale der entscheidenden Kundenmitarbeiter. Sind sie bereit, kostbare Zeit oder Geld zu investieren, um mehr über sein Angebot und seinen Nutzen zu erfahren, signalisiert ihm das ein echtes Interesse. Je mehr sie sich einer Kaufentscheidung nähern, umso stärker wird dieses Interesse. Bleiben diese Signale aus, ist das für ihn ein Alarmsignal. 

 

Unser Verkäufer ist im Vergleich zu uns in einer komfortablen Situation. Er weiß aus Erfahrung, dass er das richtige Produkt für viele Unternehmen in seiner Kunden-Zielgruppe bieten kann. Wir dagegen sind im Augenblick keineswegs sicher, wie unsere Idee für ein neues Geschäftsmodell von unseren Kunden angenommen wird. 

 

Trotz der Unterschiede der beiden Situationen erlaubt der Vergleich doch einige Prämissen: 

  • Unsere Ausgangssituation ist zwangsläufig unsicher und unklar.
  • Sie lässt sich durch Beobachtung / Analyse der Kundenreaktionen auf unsere Lösungsvorschläge nach und nach verbessern. Die Beobachtung / Analyse kostet keine zusätzliche Zeit, da sie parallel zu dem Entwicklungsprozess läuft und zusätzlich hilft, langwierige Umwege zu vermeiden.
  • Unsere zunehmende Sicherheit in der Einschätzung der Marktresonanz erlaubt entsprechend steigende Investitionen in die Realisierung unseres Lösungsvorschlags oder aber eine gezielte Verbesserung.

Im Unterschied zu einem individuellen Verkäufer sind Fehlentscheidungen bei der Produkt- und Geschäftsmodellentwicklung unvergleichlich folgenschwerer. Ein strukturierter und reproduzierbarer Prozess zur begleitenden Überprüfung der Marktresonanz ist daher angebracht. 

Abbildung 7: Begleitende Überprüfung der Marktresonanz

Abb. 7 zeigt die verschiedenen Stufen des Marktresonanztests (MRT). Die erste Stufe MRT 1 während der Konzept-Phase basiert auf einer Auswertung einer E-Mail-Kampagne in Verbindung mit einer speziellen Landing Page auf unserer Webseite (Web Analytics). Wir zeigen mit unserer E-Mail den besonderen Nutzen unserer Lösung für die Zielgruppe auf. Unterschiedliche Varianten des Schreibens helfen uns später, die wichtigsten Nutzenmerkmale zu selektieren. Der Gestaltung dieser E-Mail kommt hohe Bedeutung zu, denn wir konkurrieren mit der Vielzahl an E-Mails, die unsere Adressaten jeden Tag erhalten.  Eine Reihe von spezialisierten Dienstleistern für Web Analytics unterstützen mit einfach handhabbaren Tools die Auswertung der Kundenresonanz.

 

BC-Interviews haben eine erweiterte Zielsetzung. Wir möchten hier mit dem sogenannten Bying Center (BC) der Kunden in direkten Kontakt treten und Hinweise für Verbesserungen oder Alternativen zu unserem Lösungsvorschlag erhalten. Unter dem Buying Center versteht man denjenigen Personenkreis, der üblicherweise über ähnliche Investitionen wie für unseren Lieferumfang entscheidet. Die Meinung dieses Personenkreises ist für uns extrem wichtig. Leider ist es aber auch genauso schwierig, ihn zu erreichen. Wir sollten auf jeden Fall ein Online Meeting in Erwägung  ziehen. 

 

Wir haben in der Konzeptphase mit MRT 1 und 2 viel über die Meinung unserer Kunden-Zielgruppe gelernt und konnten so manchen Punkt unserer Idee entscheidend verbessern. Wir haben Sicherheit gewonnen hinsichtlich wesentlicher Gestaltungsaspekte unseres neuen Geschäftsmodells. Viele Detailfragen sind jedoch noch ungeklärt, weil sie im Moment für unsere Kunden noch sehr schwer vorstellbar sind. 

 

Bevor wir also mit der eigentlichen Entwicklung starten und größere Summen investieren, werden wir uns im MRT 3 mit einem Life Size Experiment mit wichtigen Detailfragen der Ausgestaltung unseres Vorschlags beschäftigen. Wir werden dazu die wichtigsten Abläufe unseres Geschäftsmodells realitätsnah simulieren und mögliche Varianten und Optionen aufzeigen. Unsere Kunden haben jetzt die Möglichkeit die zukünftige Zusammenarbeit mit uns zu erleben und sie in vielen Detailfragen mitzugestalten. Ihre aktive Mitarbeit an unserem Life Size Experiment wird das gestiegene Interesse unserer Kunden-Zielgruppe bestätigen oder aber Hinweise für notwendige Änderungen liefern. 

 

Mit diesem Wissen können wir nun beruhigt in die nächste Entwicklungsstufe einsteigen, der Entwicklung des sogenannten Minimum Viable Product (MVP). Das MVP ist eine Teilmenge unseres Gesamtkonzepts, das von uns jetzt bis zur Marktreife entwickelt werden soll. Es bietet für unsere Zielgruppe gerade noch ausreichenden Kundennutzen, um sie zur Annahme unseres Vorschlags und zur Übernahme der damit verbundenen Kosten zu bewegen. Mit der Kaufentscheidung bestätigen uns die Kunden, dass wir ihre wichtigsten Chancen und Herausforderungen richtig verstanden und eine überzeugende Lösung zu bieten haben. 

 

Der industrielle Einsatz des MVP ist unser Prüffeld zur Beseitigung bestehender Fehler und für die Entwicklung der endgültigen Ausgestaltung unseres Geschäftsmodells. Sehr bald werden wir die volle Marktreife erlangen. Auf dem Weg dahin hatten wir unzählige Kundenkontakte, viele Neukunden und Aufträge für MVP`´  s   gewonnen. Die Vermarktung unseres neuen Geschäftsmodells hat also schon vor einiger Zeit begonnen. Frühzeitig konnten wir die präzise Ausrichtung auf tatsächliche Marktanforderungen sicherstellen. Dabei haben Marktresonanztests eine wichtige Rolle gespielt. Der endgültigen Markteinführung können wir daher gelassen entgegen sehen. 

 

So oder ähnlich könnte es auch bei Ihnen laufen, vielleicht mit dem einen oder anderen Umweg, vielleicht auch mit Schwierigkeiten, die hier nicht angesprochen wurden. Wahrscheinlich aber haben sie inzwischen eigene Ideen entwickelt, die besser Ihre eigene Situation berücksichtigen. Spätestens an diesem Punkt stellt sich die Frage nach der Realisierung Ihrer Ideen. Wollen Sie das mit einem eigenen Team schaffen oder wäre Ihnen ein kompetentes externes Team lieber? Für beide Alternativen gibt es gewichtige Gründe.

 

Wenn Sie möchten, diskutieren Sie mit uns und anderen interessierten Fachleuten über Ihre und unsere Erfahrungen. Kontaktieren Sie uns über unsere Webseite www.innoxsprint oder rufen Sie mich einfach unter +49-7631 12595 an.

 

Heinrich Weber

Download
Hybride Plattformen - Technologie für den Mittelstand?
Hybride Plattform-Technologie für den Mi
Adobe Acrobat Dokument 916.6 KB

Weiterführende Literatur

 

Grundlagen der Geschäftsmodell-Entwicklung

Geschäftsmodelle entwickeln: 55 innovative Konzepte mit dem St. Galler Business Model Navigator, Oliver Gassmann, Karolin Frankenberger, Michaela Csik, Hanser Verlag ISBN: 978-3-446-45175-9

Business Model Generation - A Handbook for Visionaries, Game Changers, and Challengers, Alexander Osterwalder, Yves Pigneur, 2010 Wiley John + Sons Inc. Hoboken, New Jersey, ISBN: 0470876417, EAN: 9780470876411

 

Ideenfindung 

Wo ist das Problem? Design Thinking als neues Management-Paradigma neueBeratung Handbuch © 2014 neueBeratung GmbH, Sauvonnet, Blatt & Partner, ISBN 978-3-7347-4586-7

 

Marktresonanztests 

Quantensprung-Innovationen – Ein Praxishandbuch mit neuen Methoden und Werkzeugen für die Produkt- und Geschäftsmodell-Entwicklung, 2018 tredition Verlag, Hamburg © 2018 Heinrich Weber, innoXsprint, Müllheim ISBN 978-3-7469-7347-0

 

Werben und Erfolg messen

Growth Hacking – Mehr Wachstum, mehr Kunden, mehr Erfolg, Thomas Herzberger, Sandro Jenny, Rheinwerk Verlag Bonn, ISBN 978-3-8362-59354

 

Kommentar schreiben

Kommentare: 0